Ich sitze auf einer Bank.
Rechts, links.
Autos, Töffs, Stimmen, Sirenen…
Die Augen geschlossen.
Wunderbare Vogelstimmen lösen die Stadtgeräusche in meinem Lauschen ab.
Das Gezwitscher der Vögel fasziniert mich und lässt mich oft schmunzeln. Es ist erstaunlich, wie laut und intensiv dieser Stimmen-Pegel sein kann, wenn ich meine Wahrnehmung darauf fokussiere. Beim genaueren Hinhören kann ich einzelne Vogelstimmen gezielt verfolgen und entdecken, wie sie aufeinander reagieren und kommunizieren. Da wird parliert, gestritten, gelacht, debattiert. Zwiegespräche schälen sich heraus, verschiedene Emotionalitäten werden spürbar. Ich staune immer wieder! Es ist ein Soundbild mit unterschiedlichen Raumtiefen, je nachdem, auf was ich mich gerade fokussiere.
Diese Beobachtungen und Erfahrungen haben mich veranlasst, mit Vogelstimmen eine eigene Szenerie zu komponieren, in der unsere Wahrnehmungsweise herausgefordert wird. In der freien Natur vermischen sich die manipulierten Vogelstimmen meiner Installation mit dem realen Vogelstimmen-Ambiente. Dabei werden die Gesänge noch deutlicher hervorgehoben. Das erzeugt jene leichten Irritationen, die unsere Wahrnehmungsweise schärfen und erweitern.
Meine Arbeit „Pirol“ hat zwei Hauptebenen: Zum einen sind über die Lautsprecher verschiedene Vögel zu hören, wie sie jederzeit irgendwo singen können. Dieses Vogelstimmen-Ambiente bildet sozusagen das Hintergrundrauschen, auf dem sich dann – als zweite Ebene – der Gesang des Pirols abhebt. Der Fokus richtet sich sukzessive auf diese Stimme, die sich unweigerlich in den Vordergrund zoomt. Der Pirol hat eine besondere schöne Stimme, die bei mir ein Gefühl von Wärme und Lieblichkeit auslöst. Deswegen habe ich diesen Vogel ausgewählt.
Die Gesänge des Pirols sind komponiert. Dazu habe ich die Aufnahme seines natürlichen Singens in feinste Einheiten zerschnitten und zu neuen Melodien zusammengesetzt. Es sind Melodiefolgen, wie sie so in der Natur nicht vorkommen. Sie wurden von mir mit dem originalen Klangmaterial der Pirol-Stimme kreiert. Die charakteristischen Laute habe ich in einer leicht überspitzten Form beibehalten.
Die Klangebene des Pirol-Gesangs besteht aus vier Bildern mit einer je eigenen Struktur, Dynamik und Tonbeschaffenheit. Zunächst hören wir einen Lockruf, dann entwickeln sich zwei Melodien. In der Folge kommt es zu einem lebhaften Zwiegespräch zwischen den Pirolen, das gegen Schluss sachte abflacht und sich im Vogelstimmen-Ambiente wieder auflöst.
Die 8-Kanal-Installation kann in unterschiedlichen Lebensräumen und an verschiedenen Orten aufgestellt werden. Auf einem kleinen See, auf dem die acht Lautsprecher im Wasser schwimmen, im Wald und auf der Wiese, aber auch in der Stadt, etwa in einem Park. Um die räumliche Wirkung der Vogelstimmen zu erfahren und die Feinheiten zu erkennen, ist eine 8-Spur-Installation unumgänglich. Ihre Wirkung entfaltet die Arbeit vorzugsweise in einer Umgebung, wo sie mit realen Vogelstimmen in Kontakt treten kann.
„Pirol“ kann als Statement gegen eine ökologisch und politisch zunehmend fragiler gemachte Welt verstanden werden. Natur- und Lebensräume sind bedroht, politische Machthaber scheinen nur noch unglaubwürdiger und korrupter zu werden, ökonomische Interessen werden alldominant, die gesellschaftlichen Gefälle werden grösser. In dieser Situation empfinde ich das Arbeiten mit den Vogelstimmen wie eine Zuflucht, die mich entspannt und stärkt, die mich auftanken und durchatmen lässt. „Pirol“ soll die Aufmerksamkeit auf die subtilen und frappanten Schönheiten lenken, die unser Leben auch noch auszeichnen und die mit den Vogelstimmen mit einem besonderen Zauber zur Geltung kommen.
Konzept, Komposition und Installation Marie-Cécile Reber 2017